Hans-Peter Briegel und Walter Schachner merkten nichts. Sie rannten wie die Wahn­sin­nigen. Die Frage, wer wen an jenem 25. Juni 1982 in der spa­ni­schen Küs­ten­stadt Gijon zu Höchst­leis­tungen trieb, ist ver­mut­lich genau so zuver­lässig zu beant­worten wie die, was zuerst da war: die Henne oder das Ei. Es hat sich irgendwie so ent­wi­ckelt, wie sich ver­mut­lich das ganze unwür­dige Schau­spiel irgendwie so ent­wi­ckelt hat, das als Schande von Gijon“ in die Fuß­ball­ge­schichte ein­ge­gangen ist.

Zehn Minuten lang war die letzte Vor­run­den­be­geg­nung der Gruppe 2 ein nor­males Fuß­ball­spiel, dann erzielte Horst Hru­besch das 1:0 für die Deut­schen gegen Öster­reich. Es war das Ergebnis, das beiden Mann­schaften den Einzug in die zweite Final­runde sicherte. Nach und nach stellten die Spieler ihre Bemü­hungen ein – nur Hans-Peter Briegel und sein Gegen­spieler Walter Schachner rannten weiter wie die Wahn­sin­nigen.

Aus gege­benem Anlass wird gerade wieder häu­figer an jenes Spiel bei der Welt­meis­ter­schaft in Spa­nien vor 32 Jahren erin­nert. Das liegt daran, dass es am Don­nerstag bei der WM in Bra­si­lien eine Kon­stel­la­tion gibt, die wie gemalt ist für eine Wie­der­ho­lung von Gijon – und wieder könnten die Deut­schen daran betei­ligt sein. Am Don­nerstag trifft die Natio­nalelf in ihrem letzten Grup­pen­spiel auf die USA, und beiden genügt ein Unent­schieden zum Einzug ins Ach­tel­fi­nale.

Deutsch­land und seine kom­for­table Situa­tion

Unmit­telbar nach dem 2:2 der Deut­schen gegen Ghana sah es noch so aus, als könnte das Duell unter Brü­dern eine beson­dere Bri­sanz bekommen. Die hat es tat­säch­lich, aller­dings muss Bun­des­trainer Joa­chim Löw nun nicht mehr fürchten, von seinem Vor­gänger und För­derer Jürgen Klins­mann aus dem Tur­nier beför­dert zu werden.

Beide müssen fürchten, der Kun­gelei bezich­tigt zu werden. Schreit die Kon­stel­la­tion nicht gera­dezu nach einem schied­lich-fried­li­chen 1:1? Könnte man nicht auf dem kleinen Dienstweg eine ent­spre­chende Ver­ein­ba­rung unter Freunden treffen? Quatsch, sagt Jürgen Klins­mann, der Coach des US-Teams. Es ist keine Zeit für Freund­schafts­an­rufe, jetzt geht es ums Geschäft. Ich denke nicht daran, was in den Köpfen anderer Leute vor­geht.“

Ins­ge­samt befinden sich die Deut­schen in einer kom­for­ta­blen Situa­tion. Wir sind fast durch“, sagt Löws Assis­tent Hans-Dieter Flick. Aber das hätten die US-Ame­ri­kaner im Spiel gegen Por­tugal auch gedacht, ehe sie in der Nach­spiel­zeit noch den Aus­gleich kas­sierten. Des­wegen werden wir den Teufel tun, uns auf einem Unent­schieden aus­zu­ruhen. Wir wollen das Spiel gewinnen.“

Die ohnehin nicht schlechte Aus­gangs­po­si­tion hat sich durch das 2:2 der USA gegen Por­tugal noch einmal deut­lich ver­bes­sert. Die Deut­schen würden nun auch bei einem Unent­schieden den ersten Tabel­len­platz in ihrer Gruppe behaupten und damit im Ach­tel­fi­nale ver­mut­lich Bel­gien, dem am wenigsten geheimen Geheim­fa­vo­riten der Fuß­ball­ge­schichte, aus dem Weg gehen.

Selbst eine Nie­der­lage müsste nicht zwin­gend das Aus bedeuten. Sollte die Natio­nal­mann­schaft zum Bei­spiel 0:2 gegen Klins­mann ver­lieren, müsste Ghana Por­tugal im Par­al­lel­spiel 4:0 schlagen, um an den Deut­schen vor­bei­zu­ziehen, Por­tugal sogar 6:0 siegen. Ein ganz beson­derer Fall ergäbe sich aller­dings, sollte Löws Team 0:2 ver­lieren und Ghana 3:0 gewinnen. Dann müsste das Los ent­scheiden – weil Deutsch­land und Ghana punkt- und tor­gleich wären, selbst im direkten Ver­gleich (2:2).

Fans wedelten mit Geld­scheinen

Es ist ein Trep­pen­witz der Geschichte, dass es am Don­nerstag in Recife zu einem Sze­nario kommt, das es als Folge von Gijon eigent­lich nicht mehr geben sollte. Damals stand schon vor dem Spiel fest, dass sich Öster­reich im Estadio Muni­cipal El Molinon fürs Wei­ter­kommen eine Nie­der­lage mit zwei Toren Dif­fe­renz erlauben dürfte, um Alge­rien von Platz zwei zu ver­drängen. Sank­tionen gab es nach dem 1:0 der Deut­schen nicht, aller­dings zog der Welt­ver­band Fifa eine Kon­se­quenz für die Zukunft: Seit dem deutsch-öster­rei­chi­schen Nicht­an­griffs­pakt werden die jeweils letzten beiden Spiele jeder Gruppe zum selben Zeit­punkt ange­pfiffen.

Als sich in Gijon das ent­wi­ckelte, was die hol­län­di­sche Zei­tung De Volks­krant“ damals ein Stück Fuß­ball­porno“ nannte, wedelten alge­ri­sche Fans auf den Rängen mit Geld­scheinen. Der Mani­pu­la­ti­ons­vor­wurf steht immer noch im Raum. Walter Schachner hat behauptet, in der Pause habe es eine Absprache gegeben, nur er habe nichts mit­be­kommen. Wahr­schein­li­cher ist, dass beide Teams wussten, was zu tun war – nichts. Das hat sich so ent­wi­ckelt“, sagt der gebür­tige Dort­munder Bernd Krauss, der damals für Öster­reich spielte.

Alge­rien als beson­dere Pointe

Nie­mand kann aus­schließen, dass sich das am Don­nerstag wie­der­holen wird; jeder kann sich aus­malen, was dann pas­sieren würde. Auch des­halb sagt Klins­mann: Wir fahren nach Recife mit dem Selbst­ver­trauen, um Deutsch­land zu schlagen. Ich bin zuver­sicht­lich, dass es ein gutes Spiel wird.“ Deutsch­lands Ver­tei­diger Mats Hum­mels fände es grob unsport­lich“, sollte jemand bewusst auf Unent­schieden spielen wollen. Das sei sowieso gar nicht unser Ding. So was macht einen ver­rückt“, sagte er. Wenn es aller­dings in der 91. Minute 1:1 steht, werde ich nicht als letzter Mann gegen vier Mann ins Dribb­ling gehen. Viel­leicht gegen zwei Mann.“

Eine beson­dere Pointe hält die Geschichte mög­li­cher­weise trotzdem bereit. Sollten die Deut­schen durch ein Unent­schieden gegen die USA tat­säch­lich Grup­pen­erster werden, müssten sie im Ach­tel­fi­nale nach jet­zigem Stand gegen Alge­rien spielen, den Leid­tra­genden der deutsch-öster­rei­chi­schen Kun­gelei. 32 Jahre später könnten die Alge­rier dann end­lich Rache nehmen für Gijon.

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